Misserfolgsgeschichte Personenfreizügigkeit

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Im September 2009 hat die FDP im Auftrag des damaligen National- und heutigen Bundesrates Johann Schneider-Ammann eine Studie unter dem Titel „Dichtung oder Wahrheit – Personenfreizügigkeit – eine Analyse“ erarbeitet. Anlass war die Paketvorlage Weiterführung und Ausdehnung der Personenfreizügigkeit, welche am 8.2.2009 mit 59,6% angenommen worden war. Ein Jahr nach der Annahme macht sich die FDP daran, frei nach Goethe „Dichtung oder Wahrheit“ herauszufinden. Das Ergebnis: die FDP hat sich fast vollständig geirrt.

Die Personenfreizügigkeit ist Teil der bilateralen Abkommen, welche im Juni 2002 nach einer Abstimmung in Kraft getreten sind. Die Bilateralen I sind durch die sogenannte Guillotine-Klausel miteinander verbunden. Dies bedeutet, dass bei der Kündigung einer der Verträge alle anderen hinfallen würden – ein selten dummer Mechanismus! Illegalerweise wurde sodann in einem weiteren Urnengang die Ausdehnung und die Weiterführung der Personenfreizügigkeit verknüpft zur Abstimmung gebracht. Mit der unrechtmässigen Verknüpfung der beiden Vorlagen (Verstoss gegen das Gebot der Einheit der Materie) konnten die EU-Befürworter dann in der Abstimmung einen Sieg für sich verbuchen. Die Hauptargumente gegen diese Vorlage waren, dass die Ausdehnung zu einer höheren Kriminalität aus dem Osten führen, der Lohndruck und die Arbeitslosigkeit steigen und Rumänen und Bulgaren ein Recht auf freie Einwanderung erhalten würden. Sodann würden die Sozialwerke ausgehöhlt. Mit diesen Argumenten setzt sich die FDP in ihrer Schrift auseinander. Sie kommt dabei zu folgenden Schlüssen:

Bevölkerungsexplosion
Seit Beginn des 20 Jahrhunderts hat sich die Schweizer Bevölkerung mehr als verdoppelt. Die ständige Wohnbevölkerung hat im Vergleich zu 1998 innerhalb von 10 Jahren um 8.1% zugenommen. Dies ist – selbst die FDP muss das zugeben – viel. Ab 2006 stieg die Einwanderung nochmals sprunghaft an; zwischen 2006 und 2008 hat sich die Zahl der Einwanderer mehr als verdoppelt. Dies hängt mit der Einführung der vollen Personenfreizügigkeit zusammen, denn die Migranten stammen primär aus der EU-17. Neben Deutschland kann dieser starke Effekt auch im Falle von Portugal und Frankreich festgestellt werden. Im Jahre der Einführung der Personenfreizügigkeit mit Portugal wanderten zum Beispiel sofort wieder mehr Portugiesen ein als aus, während es in den zehn Jahren davor weniger gewesen waren. Nicht nachweisbar hingegen ist nach Ansicht der FDP eine verstärkte Einwanderung aus Bulgarien und Rumänien. Dies mag indes damit zusammenhängen, dass zum Zeitpunkt der Erstellung der Studie die Personenfreizügigkeit für diese Länder erst seit 4 Monaten in Kraft war. Die FDP stellt sodann fest, dass seit Einführung der Personenfreizügigkeit immer mehr Ausländer über einen Universitätsabschluss verfügten. Es liege daher der Schluss nahe, dass durch die Personenfreizügigkeit in erster Linie hochqualifizierte Arbeitskräfte einwanderten. Dies ist ein Trugschluss: Nur bei den Deutschen ist das der Fall; schon die zweitgrösste Gruppe der Portugiesen weist einen bedenklich tiefen Bildungsstand auf und ihre Kinder gehören überdurchschnittlich oft zur Gruppe der Schulversager.

Arbeitsmarktsituation
Widerwillig muss die FDP also die Hypothese der SVP „Es gibt einen Zusammenhang zwischen Einwanderung und Personenfreizügigkeit: Die Quantität der Einwanderer steigt, während die Qualität sinkt.“ teilweise bestätigen. Ungern gibt die FDP zu: stärker als erwartet ist die Einwanderung auch während der Krise, Einwanderer verbleiben trotz Krise in der Schweiz. „Bestätigt wird damit die Vorhersage der Gegner, dass auch in einer solchen Situation Personen in der Schweiz bleiben.“, schreibt die FDP. Da bleibt nichts beizufügen, ausser dass zudem ein sattes Drittel der Einwanderer als Folge der Personenfreizügigkeit ohne Arbeitsstelle hierher kommen: Kinder, Schwiegereltern, Grosseltern etc. wandern im Rahmen des Familiennachzuges ein. Die Studie der FDP kommt sodann zu einem weiteren Schluss: Mehr Einwanderung bedeute nicht tiefere Löhne. Über den Zeitraum von 10 Jahren sei der Gesamtschnitt des Lohnlevels um 2.2% gestiegen. Vergessen ging bei der zahlenversessenen FDP indes, dass 2.2% Lohnanstieg innert 10 Jahren real ein tieferes Lohnniveau bedeutet, denn ehrlicherweise müsste man die noch grössere Teuerung einrechnen. Real hat seit der Einführung der Personenfreizügigkeit das verfügbare Einkommen in der Schweiz also abgenommen. Dennoch behauptet die FDP, es gebe keinerlei Hinweise darauf, dass sich die Personenfreizügigkeit negativ auf da Lohnniveau der Schweiz ausgewirkt hätte. Auffallend ist für die FDP immerhin, dass die Arbeitslosenquote von Ausländer um ein vielfaches höher ist als jene der Schweizer und dass die Ausländer in den höheren Segmenten die Schweizer verdrängen.

Kriminalität und Sozialwerke
Keinen Zusammenhang konnte die FDP zwischen Kriminalität und Personenfreizügigkeit feststellen. Seit Einführung der Personenfreizügigkeit sei die Kriminalität tendenziell gesunken. Tatsächlich sei es in letzter Zeit zwar zu einer Erhöhung der Anzahl gemeldeter Einbrüche gekommen, vor allem in der Westschweiz. Die Täter stammten jedoch nicht aus Rumänien und Bulgarien, sondern aus Georgien. Beunruhigende Zahlen aus Basel, wo die Anzahl der Einbrüche sprunghaft angestiegen war, erklärt die FDP damit, dass diese Einbrecherbanden aus dem Ausland gekommen seien. In Abrede stellt die FDP auch einen Zusammenhang zwischen der Personenfreizügigkeit und den Sozialwerken. Es sei nicht so, dass die Arbeitslosenversicherung gefährdet und die IV durch „IV-Touristen“ belastet würde. Ein systematischer IV-Tourismus aus der EU sei klar nicht belegbar. Tatsache ist aber, dass durch die Zuwanderung einfach die „alten“ Ausländer aus dem Balkan ins Sozialsystem gedrängt wurden. Und dass mit dem Zustrom junger Arbeitskräfte das nach einer Art Schneeballsystem ausgestaltete System der AHV insgesamt nur stärker belastet wird. Und dass bei der Arbeitslosenversicherung grosse Mehrkosten entstanden sind, weil die Sockelarbeitslosigkeit sich erhöhte.

Internationale Ausreden
Sogar die EU-freundliche FDP muss also zugeben, dass die Gegner der Personenfreizügigkeit meist recht gehabt haben. Deshalb versucht sie es mit Grundsätzlichem: Trotz Krise stehe die Schweiz besser da als unsere Nachbarn, „Die Personenfreizügigkeit ist ein Erfolgsrezept.“, tönt es. Dabei liegt doch wohl eher der gegensätzliche Schluss nahe: dass es der Schweiz besser geht als Europa hat nicht damit zu tun, dass wir uns Europa angenähert haben, sondern weil wir in vielen Teilen nicht mitmachen. Dass die gute Position der Schweiz allenfalls etwas mit dem Abseitsstehen von der EU zu tun hat, daran denkt die FDP also nicht. Das schönfärberische und mit vielen Statistiken ausgeschmückte Papier (noch dazu aus dem Jahre 2009, als die Folgen der Personenfreizügigkeit noch gar nicht richtig spürbar waren) kann folglich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Personenfreizügigkeit ein Misserfolg ist.
Folgendes ist – sogar nach der Lektüre des FDP-Papiers – festzuhalten:
1. Die Personenfreizügigkeit führt zu einer starken Zunahme der Einwanderung in die Schweiz.
2. Die Einwanderer verlassen die Schweiz in der Krise nicht, sondern belasten die Sozialwerke.
3. Die Personenfreizügigkeit hat einen dämpfenden Effekt auf das Lohnwachstum.
Alles in allem zeigt also auch die Studie der FDP klar auf, dass die Personenfreizügigkeit eine Unmenge an Problemen mit sich bringt. Dichtung oder Wahrheit? Wahr ist, dass die Personenfreizügigkeit ein Misserfolg ist, alles andere ist EU-phile Dichtung.

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1 Antwort zu Misserfolgsgeschichte Personenfreizügigkeit

  1. Daniel S. sagt:

    Zu den von Ihnen als Menschen mit bedenklich tiefem Bildungsstand abqualifizierten eingewanderten Portugiesen: Arbeiten die nicht vorwiegend in der Landwirtschaft und auf dem Bau? Haben Sie da schon gut Gebildete die harte Drecksarbeit (bei jedem Wetter) machen sehen? Sind die Bauern und Bau-Unternehmer nicht grossenteils bei der SVP? Was würden die tun, wenn sie plötzlich keine Arbeitskräfte mehr hätten? Und warum gehen die so rüde auf die eigenen Arbeiter los, die sie ja selber ins Land geholt haben und die für sie die harte Arbeit zu schlechten Löhnen erledigen? Verlogener geht’s nun mal nicht.

    Müsste in einer Demokratie nicht mit Redlichkeit um die Wahrheit gerungen und nach den besten Lösungen gesucht werden, statt mit Lügen und Hetze einen Keil zwischen die Menschen zu treiben? „Divide et impera“ war und ist die Strategie von Diktaturen und hat in Demokratien nichts verloren. Das müssten Juristen eigentlich wissen, nicht Herr Lei?

    Seit wann hat die SVP eigentlich den Slogan der Grünen gepachtet? „Politik für die Menschen! Politik fürs Leben!“- Bissiger Zynismus angesichts der SVP-Politik, die gerade das Gegenteil bezweckt und betreibt. Nämlich eine Politik gegen Menschen (Ausländer, Linke…) und gegen das Leben (Atomkraft, Umweltschutz, Klimaschutz, Naturschutz…).

    Sie können sich denken, Herr Lei, wie ich über Sie denke…

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