27.3.15 Im Räuberparadies

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Lei Hemannn Räuberparadies

 

Im Räuberparadies

 

Liebe Familie, in zwei Stunden bin ich wieder bei Euch in Kosobanien. Es ist mir in der Schweiz sehr gut ergangen und ich werde mit einem Linienflug nach Hause gebracht. Freut Euch, denn unser Ausflug in die Schweiz ist sehr erfolgreich gewesen. Die Schweiz ist ein Paradies für Räuber.

Wie Ihr wisst, bin ich vor zwei Monaten mit meinen beiden Cousins nach Deutschland gefahren. Hier habe ich bei unserer Sippe Unterschlupf gefunden. Unser Bruder in der Schweiz, Beklauim, hat für uns saubere Fahrzeuge besorgt. Mit diesen sind wir über die Grenze gefahren. Das geht ganz einfach, weil am Grenzübergang bei Kreuzlingen nur noch auf Waren kontrolliert wird.

 

Das Geld ist unterwegs

Unsere Entdeckungsfahrten in die Schweiz waren überaus erfolgreich: Zusammen mit den Cousins haben wir Waren im Wert von einer Viertelmillion Franken „gefunden“ und verkaufen können. Das Geld ist unterwegs. Leider sind die Cousins und unser Schweizer Bruder dann aber erwischt und festgenommen worden. Das ist sehr bedauerlich, denn der Bruder war kurz davor, in der Schweiz eingebürgert zu werden. Ich habe mich deshalb bei der Polizei gemeldet, um meinen lieben Bruder vor grösserer Strafe zu schützen. Beklauim ist nach einigen Tagen aus der Untersuchungshaft entlassen worden und wir haben 10 Tage Zeit gehabt, unsere Geschichten aufeinander abzustimmen, bevor auch ich in Untersuchungshaft genommen wurde. Das hat uns natürlich sehr geholfen.

 

Gutes Essen und gratis Anwalt

Hier in der Schweiz erhält man zudem sofort einen guten Anwalt. Er verteidigt mich gratis und wann immer ich Lust hatte, mit ihm zu sprechen, musste er mich im Gefängnis besuchen. Auch ein Übersetzer steht uns stets zu Diensten. Erfreulich war sodann, dass ich dabei sein durfte, als meine Cousins einvernommen wurden. Nicht nur habe ich so genau mitbekommen, was sie sagten und was nicht, es war uns auch möglich, uns in unserer Muttersprache zu unterhalten, ohne dass die Staatsanwälte uns verstanden. Cousin Nixhat hat sich dann auf dem Weg zur Einvernahme durch ein offenes Fenster abgesetzt und ist sicher schon wieder bei Euch. So haben wir alles auf ihn schieben können und werden wohl sehr milde bestraft.

 

Handy, TV und Playstation im Gefängnis

Für unsere Absprachen war auch das Handy hilfreich, welches mir Beklauim hineinschmuggelte. Ihr würdet es nicht glauben, aber hier können wir sogar Playstation spielen und das Fernsehen zeigt viele Programme aus der Heimat. Das Essen ist reichhaltig und auf unsere Religion abgestimmt, das billige Schweinefleisch ist für die anderen. Meine Befürchtung, ich müsste das gestohlene Geld für die Rückfahrkarte nach Kosobanien verwenden, war unbegründet: Am  Tag der Entlassung haben mir die grosszügigen Schweizer ein Flugbillett für einen Linienflug in unsere Hauptstadt ausgehändigt und ich wurde von freundlichen Polizisten bis zum Gate begleitet.

 

Hier ist das Räuberparadies

Die zu erwartende kleine Strafe werde ich auch nicht absitzen müssen, sofern ich eine Weile nicht mehr in die Schweiz zurückkehre. Ich freue mich, Euch bald zu sehen; ich habe viele schöne Geschenke dabei, denn hier ist wirklich ein Räuberparadies – sagt Besmir, Bujar und Dritan, sie sollen sofort kommen!

 

Euer Rufan

 

*frei erfundene Namen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und Handlungen sind rein zufällig. Die Geschichten selbst sind aber alle – zu unterschiedlichen Zeiten und Orten – wie beschrieben passiert. Zusammengestellt von Hermann Lei, Frauenfeld.

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